Tolle Mensche treffen in Talinn

Vom Lahemaa Nationalpark sind wir am Freitag dann nach Talinn weiter gefahren, die Hauptstadt Estlands, in der ein Drittel der estnischen Bevölkerung lebt. Wir sind erstmal in den Bezirk Kristine gefahren (nach Empfehlung des Pärchens vom Lagerfeuer am Vortag) das liegt so zwischen der Altstadt und Mustamäe, dem Uni-Bezirk. Konkrete Empfehlung war Parkplatz vom riesigen Supermarkt, aber da war nur 2h Parken erlaubt, wir sind dann einige Straßen weiter beim Löwenruh Park – Parkplatz gelandet, auch gut :) An der Location hatten wir jedenfalls Zugriff auf ein freies Wlan, danke Estland :)

Von dort dann in die Altstadt gelaufen, Franz hatte aus dem „zwischen“ auch irgendwie geschlussfolgert das es nicht weit ist, gut das wir nicht explizit zwischen Schweden und Ukraine geparkt haben ^^ Nachdem wir also ziemlich kaputt in der Altstadt angekommen sind (mit Pausen für Eis und so) waren wir weniger motiviert da noch viel rumzulaufen und Touri Kram zu machen – haben wir aber doch etwas gemacht. Aber es war dann auch schon etwas später und die eine oder andere Sehenswürdigkeit hatte schlicht geschlossen… Naja, die laufen ja alle nicht weg. An dem Abend wollten wir auch vor allem zu dem lokalen Couchsurfing Meetup, von dem wir dann noch kurzfristig mitbekommen haben das es wegen dem guten Wetter an den Strand verlegt worden ist. Wir haben uns dann noch in einem Spezialitäten Geschäft mit sündhaft teurem Bier eingedeckt, war aber auch lecka. Der „Strand“ war jetzt kein 0815-Touri Strand, sondern eher so ein Stück am Meer hinter Baugrundstücken. Also voll schön halt :D Die Couchsurfer waren auch ein sehr sympathischer Haufen wie auch die Leute die da sonst noch so rumsprangen. Ich hab viel nett mit Leuten gequatscht, Franz lässt Steine titschern und kriegt mitgeteilt das es hier auch eine „skipping stones Meisterschaft“ für sowas gibt, als es kalt wird spendet der Organisator des Events ein Handtuch zum Warmhalten und es werden viele Douglas Adams Witze ausgetauscht. Als es langsam dunkel wird, geht es weiter in einen Pub in der Altstadt.

Die Altstadt ist hier voller Pubs und Clubs die auch wirklich von den Talinnern besucht werden und nicht etwa nur Touris. Ich fand das schon lustig und irritierend, wie auf den Straßen wo tagsüber lauter Touri-Gruppen langhetzen nachts die betrunkenen Studenten torkeln… Wir waren im „Shimo – Wok & Roll Bar“, da habe ich dann vor allem mit anderen Reisenden gequatscht… Unter anderen: Einem Iren, der mit 16 von der Schule geflogen ist, dann viel durch Europa gereist ist und nun in Spanien lebt und als Englischlehrer arbeitet – den besuchen wir dann vielleicht in Spanien :) … Eine Chinesin, die zum ersten Mal in Europa ist und mit den 30 Tagen die ihr das Visum im Schengenraum erlaubt jetzt möglichst viel sehen will und immer nur zwei, drei Tage in jeder Stadt bleibt. Auf die Frage was sie als größten Unterschied zwischen China und Europa bemerkt hat: „People are so relaxed here. Like, they actually take the time to lie in the sun in a park.“… und viele weitere… Um 2 oder so fuhr kein Bus/Tram mehr (hmpg, ja, ich bin verwöhnt von Berlin, aber komm, am Wochenende??) und wir haben nen Taxi nach „Hause“ genommen. Obwohl Löwenruh nicht nur der Name des Parks, sondern auch der Haltestelle dort ist UND wir es ihm auf der Karte gezeigt haben, wusste der Taxifahrer nicht so recht wo das ist und wir mussten dann irgendwann „Halt, stop, hier!“ rufen… Das war etwas weird…

Am nächsten Tag haben wir den Bus in die Innenstadt genommen, aber unsere Beine dann gleich wieder beansprucht indem wir in die Oberstadt hochgeklettert sind. Ober- und Unterstadt waren lange Zeit nicht nur separate Städte, sondern auch etwas miteinander verfeindet und hatten Stadtmauern dazwischen, etc. Auf jeden Fall kann man von der einen schön auf die andere hinab blicken und runter spucken ^^

Am Tag vorher hatten wir den Tipp bekommen Paterei Prison anzugucken, ein ehemaliges Gefängnis das jetzt Besuchern offen steht. Wir hatten das Gebäude auch schon vom Strand aus gesehen, also dachten wir zu wissen wo es lag und haben eine Tram aus der Stadt raus in diese Richtung genommen. Nachdem wir eine Weile zwischen Plattenbauten und Containerhafen herumgelaufen waren, fiel uns aber auf, das wir an der ziemlich falschen Stelle waren und wanderten also zurück Richtung Altstadt und zum Gefängnis. Auf dem Gefängnisgelände folgten wir erstmal den Schildern zur Beach Bar und das war eine wirklich witzige Location. Direkt am Strand, hinter einem das Gefängnisgebäude natürlich noch mit vergitterten Fenstern, auf dem Strand auch noch Stacheldrahtzaun, der Blick von der Liege aus auf die Frachterschiffe, die Bar sehr billig und super gemütlich… ich mag es immer sehr solche skurrilen Orte zu entdecken :)

Bevor wir dann richtig ins Museum hinein gegangen sind, haben wir noch etwas mit Taimi und Kristo gequatscht, zwei sympatisch schrägen Menschen die dort arbeiteten, Kristo an der Bar und bei Taimi kauften wir die Eintrittskarten fürs Museum. Im Gefängnis dann hatten wir noch eine Stunde Zeit, ich dachte erst das wäre reichlich Zeit, aber wir hätten sicherlich noch länger dort herumstromern können. Es war nämlich weniger ein Museum wie man sich das so vorstellt, sondern die seit gut 10 Jahren nicht mehr als Gefängnis genutzte Gebäudeanlage stand halt einfach im leicht bis stark verfallenen Zustand zur Besichtigung offen. Und da gab es halt viel zu entdecken….

…nach oben offene kleine Zellen im Innenhof waren in der Sowjetzeit gebaut worden, so dass die Gefangenen zwar noch ab und zu freien Himmel über sich hatten – auch hinter Gittern natürlich, aber von „Ausgang“ wohl nicht mehr wirklich die Rede sein konnte.

…die Stege und Aussichtsplattformen, von denen die Wächter die Gefangenen in diesen Draußen-Zellen halt beobachten konnten, alles inzwischen teilweise recht baufällig und wackelig…

…die Gefängniszellen mit dicken Türen samt mehrfachen Riegeln und Klappe als Essens-Durchreiche.

…in einem Flügel des Gefängnis ganz viel Kunst, teilweise klein in Ecken versteckt, manchmal ganze Räume gestaltet. Es gab dort wohl 2014 das „Eesti Suurim Kunsti-Projekt“ mit dem Titel „E.ART.H – Europeans. Art. History“ wobei sich viele der Kunstwerke auch mit den Themen Krieg oder Gefängnis auseinander setzten. Dort hätten man auf jeden Fall viel Zeit verbringen konnten, aber wir waren gewarnt worden, das man im Gefängnis über Nacht eingeschlossen wird, wenn man nicht rechtzeitig draußen ist und ganz sooo lange wollten wir dann auch nicht dort verbringen…

Wir hatten noch keine Pläne für den Abend, aber Lust etwas mit netten Leuten zu machen, also haben wir einfach Taimi gefragt ob sie noch etwas Spannendes vorhat wo wir uns anschließen können – wir wussten ja das sie jetzt Feierabend hat, da das Gefängnis schließt :D Und ja: „I’m going to fly a drone, I will ask the owner of the drone if you can join“. So sind wir dann mit Taimi, Tavii und Serks zu einer Brachfläche etwas außerhalb von Talinn gefahren und haben dort den Quadrocopter geflogen den die Beiden selbst gebaut haben – so inklusive Gestell vom 3D-Drucker selbst gebaut. Mit Goggles konnte man beim Fliegen aus der Perspektive des Copters zugucken, wobei einem schon mal recht schwindelig werden konnte. Serks und Tavii haben die Drohne für Schnelligkeit und Wendigkeit optimiert, also so zwischen Bäumen hindurch kurven, etc und wenn sie sich vom Boden erhebt klingt es wie ein sehr wütendes Riesen-Insekt. Irgendwann bei der dritten Batterie-Ladung ist die Drohne dann gecrasht. Für diesen Fall beobachtet immer eine Person die keine Goggles auf hat wo das Ding eigentlich gerade rumschwirrt, weil guten Orientierungssinn hat man als Flieger nicht wirklich. Trotzdem war die letzte Position natürlich nur ungefähr bekannt, wir sind also ausgeschwärmt und ich habe dann irgendwann tatsächlich die leicht kaputten Überreste des Quadrocopters gefunden.

Auch den weiteren Abend haben wir mit den Dreien verbracht, wir sind wieder nach Talinn Altstadt gefahren und habe versucht uns dort mit Kristo und Kristan zu treffen. Es stellte sich aber heraus das „auf der Aussichtsplattform in der Oberstadt“ deutlich weniger eindeutig ist als gedacht. Als wir sie an den beiden den Einheimischen bekannten Orten nicht angetroffen hatten, konnte ich auf meiner Touri-Karte noch mit zwei weiteren aufwarten. Dort waren sie auch nicht. Nach ziemlich viel hin und her laufen in der Oberstadt haben wir sie dann schließlich auf einer fünften Plattform gefunden ^^ Kristo wirkt irgendwie die ganze Zeit wie völlig bekifft, erinnert sich nach 10 Minuten aber auch daran uns am Nachmittag schon getroffen zu haben. Zusammen ziehen wir dann noch etwas durch die Talinner Altstadt und in den Red Emperor, eine schon skurrile Bar mit Flugzeugsitzen, Autoteilen an der Decke und Billiard. Später auch noch weiter in eine andere Bar und dann irgendwann nach Hause, also ins Wohnmobil :D

Während wir den Abend mit Taimi verbracht haben entstand die Idee, das sie ja mit uns nach Litauen fahren könnte, weil das hatte sie eh so halb überlegt zu machen in der nächsten Zeit. Sie hat dann noch rumtelefoniert wegen Arbeits-Schicht für den nächsten Tag abgeben und dann war entschieden: Ja, sie kommt mit! Die bewusst irreführende aber wahre Kurzfassung wäre also: Wir haben eine Gefängniswärterin kennen gelernt, mit ihr zusammen eine Drohne geflogen und gecrasht. Daraufhin war sie am nächsten Tag nicht auf Arbeit, sondern ist mit uns außer Landes gefahren. :D