Lettische Lücken (aka: Nicht nur Sumpf!)

Ihr erinnert euch vielleicht, das ich den Teil der Reise zwischen Vilnius/Trakai und Estland übersprungen habe. In dieser Zeit lag einerseits das große europäische Rainbow Gathering, worüber Franz ja schon etwas geschrieben hat und andererseits, naja, Lettland. Von Litauen direkt nach Estland zu kommen geht nämlich auch gar nicht, da liegt ein ganzes Land dazwischen. Und davon zu erzählen will ich nun endlich nachholen. :) Und halt auch mein Schlamm-Trauma verarbeiten ;)

Am Samstag, den 1. August sind wir vom litauischen Rainbow aufgebrochen. Wir haben dabei noch vier Regenbogen-Familien-Mitglieder im Wohnmobil bis nach Zarasai gebracht. Von dort wollten sie mit zwei oder drei Bussen bis nach Berlin fahren. Ich fand es sehr surreal als es hieß „morgen Nachmittag sind wir dann da“ – Berlin fühlte sich doch viiiiiel weiter weg an.

Wie es sich für Hippies gehört, wollten wir dann erst mal noch Bäume kuscheln. Genauer gesagt, einen ganz bestimmten Baum: In Stelmuze, in der Nähe von Zarasai und sehr nah an der Grenze zu Lettland steht eine etwa 1500 Jahre alte Eiche. Die leider von einem Zaun umgeben ist und damit nicht besonders knuddelbar. Beeindruckend war sie aber alle mal, nicht sehr hoch, aber seeeeehr dick und sie sah auch definitiv alt aus:

Der Grenzübergang Litauen-Lettland fiel dann in die Kategorie „Hätte ich jetzt ohne Schild echt nichts von gemerkt“. Beim vorherigen Übergang (Polen-Litauen) gab es ja immerhin noch eine fette Schneise im Wald, aber hier nichts. Vielleicht weil das dadurch dass die beiden Länder ja gleichzeitig in die EU eingetreten sind, nie EU-Außengrenze war??

Wir sind dann weiter über kleine schnuckelige Straßen gefahren und dann mal einfach so einem braunen Schild gefolgt (diese die auf irgendwelche Sehenswürdigkeiten hinweisen, gibt es in D auch) – was aber natürlich auf Lettisch war, wir wussten also überhaupt nicht was uns erwartet. Wir kommen zu einem Parkplatz mit einer komischen Seilbahn-artigen Anlage. Hm, ist das die Sehenswürdigkeit?? Die parkenden Letten klären uns auf: Es ist ein Skigebiet. Erkennt man nur irgendwie nicht, so ohne Schnee m) und die Hügel sind auch alle nicht direkt hoch. Gelohnt hat sich der Abstecher aber trotzdem, denn da steht auch noch ein toller hölzerner Aussichtsturm mit Blick auf das nahe gelegene Naturschutzgebiet. Der war wirklich ziemlich hoch, also man war so deutlich über allen Baumgipfeln und es hat schon ein kleines bisschen im Wind geschwankt… Aber hat gehalten, yay ^^

Von dort oben sah man in der Ferne auch etwas, was ich für ein großes Industriegebiet gehalten habe, und was sich nach Karten- und Reiseführer-Informationen aber als Daugavpils identifizieren ließ, die zweitgrößte Stadt in Lettland. Öhm ja, eher nicht so hübsch also. Wir umfahren die Stadt dann auch in weitem Bogen und fahren weiter nach Norden auf der A13. Auf der Karte habe ich eine Halbinsel ausgemacht, in der Hoffnung dort irgendwo am Seeufer campen zu können. Es gibt auch tatsächlich eine kleine Straße bis auf die Halbinsel, aber abgesehen von Privatgrundstücken keinen schönen Zugang zum Wasser. Da es schon dunkel ist, stellen wir uns also einfach auf die Wiese neben dem Weg und hoffen das es keinen stört. Von irgendwo dringt laute Musik zu uns, also vor allem der Bass….

 

Sonntag, 2. August – Follow the white rabbit brown signs

Morgens erkunden wir im Hellen noch etwas die Halbinsel, folgen matschigen Wegen zum Ufer, Franz geht auch baden, mir ist aber nicht so danach, fühle mich etwas weird… Ich bin gerade etwas gnervt von Natur so an sich, die ist gemein zu mir und pieckst mich immer – mit Disteln oder Bremsen, bäh…. Will deshalb gerne für die kommende Nacht auf einen Campingplatz, also ist der Plan jetzt erstmal noch etwas Strecke zu mache und zu gucken, was es auf dem Weg nach Norden noch so zu entdecken gibt.

2409a – Weil das gestern so gut funktioniert hat, folgen wir auch diesmal wieder einem der braunen POI-Schilder – und dank Mini-Lettisch-Wörterbuch im Reiseführer weiß ich sogar, das eins der Worte auf dem Schild „See“ heißt. Das klingt gut! Einen See finden wir dann allerdings nicht, dafür beeindruckende Holzhäuser, die teilweise schon ziiiiemlcih zerfallen sind und auf jeden Fall zu Entdeckungstouren einladen.

Den See wollen wir nun aber auch gerne noch finden und biegen auf der Hauptstraße beim nächsten entsprechenden braunen Schild wieder ab. Ich habe durch Openstreetmap eine vage Ahnung um welchen See es sich handeln könnte und auf welcher Waldstraße wir vielleicht sind und versuche uns näher zum Weg zu navigieren. Nach ein paar mal abbiegen (und natürlich keinen weiteren braunen schildern) fahren wir durch ein kleines Dorf, wo ein aufgeregt im Kreis laufendes Pferd unsere Anwesenheit quittiert, dann die Straße weiter durch den Wald – und kommen zwar nicht am See an, dafür an einem Reh-Gehege:

Zum See scheint es hier aber nicht zu gehen, also wenden wir und nehmen in dem Dorf noch mal eine andere Straße, die wir vorher verschmäht hatte. Als wir diese entlang fahren blitzt dann rechts durch die Bäume doch tatsächlich der See! Und da führt auch ein Weg rein, toll! Wir also in den Waldweg abgebogen, fester Blick auf den See der in ein paar hundert Metern Entfernung verheißungsvoll schimmert. Bevor wir ins Wasser hüpfen noch grad das Wohnmobil wenden, aber was ist das für ein komisches Geräusch? Oh nein, die Hinter-Reifen drehen durch -.-‚

Hm, das doof, was machen wir denn jetzt? Naja, wir werden schon wieder rauskommen! Erstmal nehmen wir die aller schwersten beweglichen Sachen aus dem Wohnmobil, legen ein paar Stöcker hinter die Reifen und versuchen es wieder. Wir versuchen es zwar eine ganze Weile, aber es bringt nichts…

Naja, wir werden schon wieder rauskommen, Franz ist schließlich ADACplus Mitglied und hat damit in ganz Europa Pannen Unterstützung, dann müssen wir halt leider warten bis die hier sind, aber egal. Wir rufen an und nach viel hin und her und Zahlen durchsagen stellt sich heraus: Im Ausland im Schlamm stecken bleiben wird von ADACplus nicht abgedeckt -.- Die können uns zwar an ihren lokalen Partner weiter leiten, aber bezahlen müssten wir’s dann selbst. Hm, das wär natürlich doof, da probieren wir es doch lieber erst mal selbst weiter.

Hm, vielleich können wir ja wieder rauskommen, wenn wir uns im Dorf Hilfe holen. Wir laufen also hin. Das Pferd läuft immer noch im Kreis ist nämlich an einer recht kurzen Leine angebunden). Es gibt nur vier Häuser bei dreien davon ist niemand zu Hause. Uns öffnete…. naja, also wenn ich jetzt in einem Roman veranschaulichen sollte, dass die Person die da öffnete völlig ungeeignet war uns in irgendeiner Weise zu helfen, dann hätte ich es vielleicht so versucht: Wir klopfen und nach einiger Zeit scheint sich drinnen etwas zu bewegen. Langsam öffnet uns eine ziemlich alte, ziemlich dicke Frau. Sie ist auf eine Krücke gestützt zur Tür gehumpelt, im Hintergrund sieht man im Halbdunkel ein recht verwahrlostes Zimmer, auch sie selbst sieht sehr ungepflegt aus und sie guckt uns sehr unbegeistert an. Wir versuchen auf Englisch zu kommunizieren, sie versteht offenbar nichts, deshalb versuchen wir es mit ein paar Lettisch-Brocken aus den beiden Mini(mini-mini!)-Wortlisten vom ADAC-Infoheft und Reiseführer. „Panne“ „Wohnmobil“ „Hilfe?“. Sie guckt uns müde an sagt „Nein“ und zuckt mit den Schultern was wohl ausdrücken soll: „Wie soll ausgerechnet ich denn euch helfen können?“.

Ja, also so hätte ich es für den Roman beschrieben, aber genau so war es absurder Weise dann auch in Wirklichkeit. Die Idee im Dorf Hilfe zu finden, haben wir also aufgegeben , aber wir werden schon rauskommen, notfalls müssen wir halt den „lettischen ADAC“ dafür bezahlen. Erstmal noch mit der Heimat telefonieren und Tipps einholen – Telefonieren ist aber auch eher schwierig, weil es teilweise die Ansage gibt die uns sagt dass das Netz zur Zeit begrenzt ist und wir, falls wir telefonieren wollen dieunddie Nummer anrufen sollen. Aber manchmal funktioniert es auch. Mit neuem Wissen versuchen wir es dann noch einmal aus dem Schlamm heraus zu kommen – mit noch viel mehr Holz unter den Rädern und ganz geduldigem Raus-Schaukeln. Bringt aber auch nichts, und die Mücken zerstechen mich und die Brennnesseln brennen mich. Ja, genau, nachdem ich gerade völlig die Schnauze voll hatte davon von der Natur gepieckst zu werden, sind wir nämlich natürlich prompt an einer Stelle stecken geblieben wo es von beidem nur so wimmelt -.- Franz ist auch schon so wütend auf die Natur um uns herum dass er Kippenstummel verärgert ins Grün wirft statt in den Taschenascher…

Seufz, inzwischen ist es dunkel, also übernachten wir halt hier und lassen uns morgen für Geld aus dem Matsch ziehen.

Am nächsten Morgen also rufen wir den „lettischen ADAC“ an. Kein Anschluss unter dieser Nummer. Öhm, was? Wir rufen noch mal beim ADAC an, die geben uns eine neue Telefonnummer und wir versuchen es da. Wieder die komische Ansage, das Netz sei beschränkt. Dann doch mal was anderes, nämlich wieder „Kein Anschluss unter dieser Nummer“. Die Ansagen übrigens immer erst in Lettisch, Litauisch, Estnisch, Russisch (oder jedenfalls irgendwelchen Sprachen die ich nicht verstehe) bis dann endlich auf Englisch etwas verständliches kommt. Also etwas wo ich die Worte verstehe. Warum bei gutem Empfang das Netz „beschränkt“ ist, weiß ich natürlich immer noch nicht -.- Jetzt ist auch der deutsche ADAC überhaupt nicht mehr zu erreichen. Aaaaaah, wie kommen wir denn jetzt hier raus???

Während wir ein ums andere Mal versuchen uns aus dem Schlamm heraus zu schaukeln, riecht es auch immer wieder extrem unangenehm. Ist das die Kupplung? Die Bremse? Wenn hierbei da jetzt was kaputt geht, wird das dann vielleicht doch vom ADAC abgedeckt?! Absurder Scheiß. Wir versuchen es weiter; versuchen das Wohnmobil mit dem Wagenheber etwas anzuheben um besser mehr Holz unter den Reifen schieben zu können – nur um festzustellen das wir mit unserem Wageheber, naja, den Wagen nicht heben können. Der ist für leichtere Fahrzeuge konstruiert…. Aaaah, kommen wir hier überhaupt wieder raus?????

Wir versuchen es noch weiter mit noch viel mehr Holz und Steinen unter den Reifen und irgendwann tut sich tatsächlich was und die Hinterreifen kommen aus dem Loch heraus was sie sich selbst gegraben haben, das Fahrzeug kann ein Stück nach hinten fahren —— und prompt sind die Vorderreifen in den Löchern, die eben noch die Hinter-Reifen bewohnt haben. Neiiiiiiiiin. Aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaah….

Aufgeben bringt ja nun auch nichts, und immerhin müssen wir jetzt ja nur noch einmal schaffen, was wir einmal schon geschafft haben?! Also nur noch mal ein Tag hier?!?!? Als wir einmal gerade wieder an der Straße sind, weitere Steine sammeln, kommt ein Auto angefahren. „Das halten wir an, oder?“ Franz ist zögerlich, geht mit den Steinen zum Auto zurück, aber für mich besteht kein Zweifel. Die junge Frau am Steuer kann halbwegs Englisch, ich erkläre ihr die Situation, sie bietet uns ihren Wagenheber an, aber das ist das gleiche Modell wie unseres. Während sie kommt um sich das feststeckende Wohnmobil an zu gucken, komme ich auf die Idee, sie zu fragen, wen sie denn in so einem Fall anrufen würde, vielleicht kann sie uns die Nummer eines lettischen Pannendienstes geben, der unter dieser Nummer dann auch wirklich erreichbar ist (falls das Netz überhaupt eine Verbindung zulässt). Sie zückt ihr Handy, spricht schnell auf Lettisch, das einzige was ich zwischendrin verstehe ist ein mehrmals wiederholtes „Touristyka“. Dann geht sie zum Auto zurück, sagt uns noch, dass „jemand“ kommen würde, steigt in ihr Auto und fährt weg.

Keine 5 Minuten später kommt ein Jeep angefahren und die beiden Männer die aussteigen scheinen große Erfahrung damit zu haben Fahrzeuge aus dem Matsch zu ziehen. Unter viel Gemurmel von „Touristyka“ befestigen sie ein Seil hinten-unten am Wohnmobil und ihrem Jeep, ziehen uns aus dem Loch und als sie sehen wie Franz langsam und vorsichtig rückwärts aus dem Weg rausfährt, setzen sie sich auch ans Steuer und fahren das Wohnmobil entspannt wieder auf die Straße. Wow, das ging jetzt schnell. Und sie wollten dann auch kein Geld von uns annehemen. UND WIR SIND ENDLICH RAUS AUS DEM MATSCH!

Ich war natürlich froh das wir raus waren aber immer noch ziemlich fertig von der ganzen Sache und wollte also auch unbedingt auf nen Cmapingplatz. Letztlich sind wir an dem Tag dann noch bis Elva in Estland gefahren, aber das hatte ich hier im Blog ja schon beschrieben :)

So und damit ist jetzt die lettische Lücke geschlossen und das Schlamm-Trauma auch etwas mehr verarbeitet ;)